Spüre, was du wirklich brauchst ... und wie du es auch bekommst!


 - Gastartikel von Rosina Geltinger - 

Julia kam traurig und niedergeschlagen in meine Praxis. Seit Tagen überlegt sie, was sie mir erzählen soll, aber weiß es eigentlich gar nicht so genau.

Im Grunde passt alles in ihrem Leben. Sie ist ganz zufrieden mit ihrem Job, sie hat einen tollen Freundeskreis und auch in ihrer Beziehung ist alles okay. Es gibt eigentlich nichts worüber sie sich beschweren könne, ABER und genau hier kommt das Problem: Sie fühlt sich nicht so!

Es geht ihr nicht gut und sie ist oft unzufrieden. Sie ist innerlich unruhig, fühlt sich irgendwie getrieben und sie weiß einfach nicht, wie sie das ändern kann.

Das Schlimmste ist für Julia, dass sie keine Ahnung hat, warum sie sich so fühlt. Sie versteht das einfach nicht! Sie müsste doch eigentlich glücklich sein. Es muss doch einen Grund geben, warum sie sich so fühlt! Das ist für sie echt schwer zu ertragen.

Julia ist kein Einzelfall. Ganz im Gegenteil: Viele Menschen fühlen sich so!

Nachdem ich ein wenig mit Julia gearbeitet hatte, wurde klar, um was es geht.

Julia wurde (wie viele von uns) dazu erzogen, sich selbst zu verleugnen. Das war ihr nicht bewusst. "Ich hatte eigentlich eine gute Kindheit".

(Hier ist nochmal wichtig zu betonen: Unsere Eltern machten es so gut sie konnten. Die wenigsten haben ihren Kindern "absichtlich" etwas Böses angetan. Es geht nicht darum, den Eltern Schuld zuzuweisen. Es geht darum zu erkennen, dass wir nicht das bekommen haben, was wir brauchten.

Und die Muster verstehen und erkennen, die sich daraus entwickelt haben.)

Julias Mama hatte immer viel zu tun. Deshalb hat Julia regelmäßig Sätze wie: "Sei nicht so laut", "Jetzt stell dich nicht so an, das war doch nicht schlimm", "Jetzt nicht, ich hab keine Zeit" zu hören bekommen.

Und wenn sie nicht so funktioniert hat, wie ihre Mama es erwartete, wenn sie nicht das brave Mädchen war, dann war ihre Mama wütend und vor allem traurig und hat Julia ignoriert.

Das war für das kleine Mädchen kaum auszuhalten. Deshalb hat sie begonnen dieses Spiel mitzuspielen und hat sich gebeugt. Es war wichtiger, dass es ihrer Mama gut geht und dass die Mama sie nicht ignoriert.

So begann Julia Dinge zu tun, um die Erwartungen ihrer Mama zu erfüllen und um ihr zu gefallen. Dann war alles gut. Julia hat viel Liebe und Anerkennung von ihrer Mama bekommen, weil sie so lieb war. Ihre Mama war wirklich mächtig stolz auf ihre brave Tochter.

So ging es letztendlich in ihrem Erwachsenenleben weiter. Sie blieb das brave, liebe Mädchen, das es allen recht machen will. Tatsächlich wurde das für die erwachsene Julia öfter zum Problem.

Oft hatte sie das Gefühl, dass sie es den anderen nicht recht machen konnte.

Egal, wie sehr sie sich auch bemühte.

Julia steckte in Verhaltensmustern fest, die ihren Ursprung in ganz früh gelernten Prägungen und Glaubenssätzen haben.

Da war Julia vielleicht erleichtert, als ihr das klar wurde! Wenigstens weiß sie jetzt, woher das alles kommt. "Und wie kann ich das jetzt wieder loswerden?" wollte sie natürlich gleich wissen.

Ihre Bewältigungsstrategie war super, denn sie hat damals wirklich geholfen. Es ist wichtig, das erst mal zu würdigen.

Allerdings haben sich die Zeiten geändert, Julia ist eine erwachsene Frau und nicht mehr das kleine Mädchen. Jetzt ist es wichtig, herauszufinden: Was will Julia eigentlich wirklich in ihrem Leben? Welcher Mensch steckt hinter diesen Strategien? Welche Bedürfnisse hat Julia?

Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse langfristig ausblenden, dann führt das nicht nur zu Frust. Es schwächt auch unser Selbstwertgefühl und führt dazu, dass wir unzufrieden sind und uns innerlich getrieben fühlen.

Genau das ist bei Julia passiert.

Jetzt müssen wir herausfinden, was sie wirklich will. Was sind Julia's nicht gelebten Bedürfnisse?

In dem Moment haben mich zwei große Augen ganz erschrocken angeschaut: "Ich habe keine Ahnung. Ehrlich, ich habe überhaupt keine Ahnung, welche Bedürfnisse ich habe!"

Das war der Einstieg in unsere Arbeit mit Bedürfnissen.

Doch bevor wir loslegen, sollten wir noch eine wichtige Frage klären:

Was sind Bedürfnisse eigentlich?

In der Psychologie wird Bedürfnis oft definiert als "Zustand oder Erleben eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beheben".

Diese Meinung teile ich nicht. Ich glaube nicht, dass heutzutage ein Bedürfnis immer mit dem Gefühl von Mangel einhergeht. Das kann sein, muss aber nicht.

Ich würde Bedürfnisse eher als Wünsche und Sehnsüchte bezeichnen, die wir an unser Leben haben. Ein Mangelgefühl ist dafür nicht notwendig.

Welche Bedürfnisse es gibt, ist in der Bedürfnispyramide von Maslow sehr gut zusammengefasst.

Da werden die Bedürfnisse nach physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung eingeteilt. Die physiologischen Bedürfnisse bilden den Boden der Pyramide und die Selbstverwirklichung die Spitze.

Unter den jeweiligen "Oberbedürfnissen" werden dann noch detaillierte Bedürfnisse ausformuliert.

Die physiologischen Bedürfnisse sind unsere Grundbedürfnisse die für unser Überleben sorgen, und zu den Sicherheitsbedürfnissen zählt das Bedürfnis nach körperlicher und seelischer Sicherheit.

Danach kommen die sozialen Bedürfnisse. Hier geht es um das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Beziehungen, Zuneigung.

Über die Bedürfnisse ab dieser Stufe geht es in diesem Artikel.

Bei den Individualbedürfnissen geht es um Bedürfnisse wie Anerkennung, Freiheit, Abenteuer.

Und wenn alle diese Bedürfnisse voll erfüllt sind, dann kommt noch das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Das Bedürfnis danach, sein Potenzial voll auszuschöpfen.

Natürlich gibt es insgesamt sehr viele unterschiedliche Bedürfnisse, wie z.B. das Bedürfnis nach Nähe, Autonomie, Abenteuer, Ruhe, Natur, Leichtigkeit, Respekt, Abgrenzung, Partnerschaft, Harmonie, Selbstbestimmung...

Jetzt gilt es, herauszufinden, welche Bedürfnisse wir eigentlich wirklich haben. So ganz tief in uns drin.

Damit meine ich tatsächlich eigene Bedürfnisse.

Keine übernommenen Bedürfnisse.

Dazu habe ich 5 Übungen zusammengestellt, die du machen kannst, um deine eigenen Bedürfnisse zu erkennen.

Wie du eigene Bedürfnisse erkennen und erfüllen kannst.

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Wie erkenne ich Bedürfnisse? 5 Übungen

1 | Starte deine Bedürfnisliste.

Am besten beginnst du damit, dass du deine Bedürfnisse auf ein Blatt Papier bringst. Ich hab ja schon einige Bedürfnisse aufgezählt. Welche davon haben dich sofort angesprochen? Wo hast du dir gedacht: Ja, das Bedürfnis habe ich auch!

Dann ab auf deine Liste.

Es gibt auch im Netz genügend Aufzählungen von Bedürfnissen. Die kannst du auch durchgehen, und alles, was dich anspricht, kommt auf deine Liste.

2 | Das will ich nicht!

Oft tun wir uns sehr schwer damit, zu wissen, was wir wollen. Aber wir wissen meistens ziemlich genau, was wir nicht wollen.

Geh mal all die Dinge durch, die du nicht willst. Nimm dir bei jedem Punkt einen Moment Zeit und überlege dir: Was hätte ich denn gerne stattdessen?

Es kann das direkte Gegenteil sein. Zum Beispiel "Ich möchte nicht mehr alleine sein – Ich wünsche mir eine Partnerschaft".

Es kann auch sein, dass du ein bisschen um die Ecke "denken" musst.

Bei "Ich fühle mich oft innerlich unruhig" können viele unterschiedliche Bedürfnisse dahinter stehen, wie z.B. das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, Erholung, Lernen, Wachstum, Weiterentwicklung. Alles Mögliche kann die Unruhe verursachen.

Das, was du nicht willst, ist in der Regel ein wunderbarer Wegweiser zu deinen wirklichen Bedürfnissen.

3 | Erkenne deine Bedürfnisse, in dem du dir Fragen stellst.

  • Was würde ich tun, wenn ich alle Möglichkeit der Welt hätte?
  • Wenn Geld keine Rolle spielt, was würde ich dann machen?
  • Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass ich auf jeden Fall erfolgreich wäre?
  • Wenn es einen Reset-Button gäbe, und ich einfach mal alles ausprobieren könnte, ohne dass irgendwas dabei schiefgehen kann – was würde ich tun?
  • Wenn ich wüsste, dass ich nur noch ein halbes Jahr zu leben habe, was würde ich tun?

Diese Fragen recht spontan zu beantworten und dir auch jede Antwort zu erlauben, ist eine super Unterstützung dabei, deine Bedürfnisse zu entdecken.

4 | Steigere deine Selbstsicherheit.

Je selbstsicherer wir sind, desto leichter wird es uns fallen, unsere Bedürfnisse zu erkennen. Und vor allem auch für sie einzustehen und sie auch einzufordern. Und alleine dafür lohnt es sich schon, deine Selbstsicherheit zu stärken.

Der leichteste Weg zu mehr Selbstsicherheit ist, wenn wir immer wieder neue Erfolgsmomente erleben. Und das passiert am schnellsten, wenn wir neue Dinge ausprobieren.

Das können kleine alltägliche Dinge sein, aber auch größere Sachen, wie ein neues Hobby beginnen. Beginne damit, regelmäßig neue Dinge zu tun.

Das trainiert übrigens auch die Neuroplastizität und führt dazu, dass wir wacher sind und uns lebendiger fühlen.

5 | Erkenne deine Bedürfnisse, wenn du dich so richtig ärgerst.

Wenn du dich das nächste Mal so richtig über etwas ärgerst, dann gehe mal in dich und überlege dir, was hat mich jetzt daran so geärgert?

Wahrscheinlich kommen da Sachen wie: Das war total respektlos, rücksichtslos, herzlos oder ähnliches.
Nehmen wir das Beispiel: Das war respektlos.

Und jetzt drehe das mal um. Hinter dem Ärgern steht offensichtlich, dass das Bedürfnis nach Respekt nicht erfüllt wurde.


Alle Bedürfnisse, die du jetzt in den Übungen 2 – 5 entdeckt hast, kommen natürlich auch auf deine Bedürfnisliste.

Wie kann ich meine Bedürfnisse nun erfüllen?

Es geht nicht immer darum, alle Bedürfnisse voll erfüllt zu haben. Der erste wichtige Schritt ist, dass du erstmal deine Bedürfnisse wahrnimmst.

Generell kann man aber sagen: Je mehr Bedürfnisse erfüllt sind, desto glücklicher und zufriedener sind wir.

Nimm deine Bedürfnisliste zur Hand, und überlege dir bei jedem einzelnen Bedürfnis: Lebe ich dieses Bedürfnis? Und wenn ja, wie intensiv. Am besten verteilst du Punkte.

Dann such dir 2 - 3 Bedürfnisse raus, die du gerne mehr leben würdest.

Was kannst du jetzt sofort konkret tun, um dir dieses Bedürfnis zu erfüllen?

Es wird Bedürfnisse geben, die du selbst recht leicht und unkompliziert erfüllen kannst. Das kannst du tatsächlich auch direkt umsetzen.

Und dann wird es andere Bedürfnisse geben, die längeren Vorlauf brauchen. Hier kann ein guter erster Schritt sein, in die Planung zu gehen und zu überlegen, wie du das Bedürfnis in Zukunft erfüllen kannst.

Wichtig ist, dass du dir nicht zu viele Bedürfnisse auf einmal vornimmst. Das führt sonst leicht zur Überforderung. Und wenn wir überfordert sind, führt das oft dazu, dass wir es wieder ganz sein lassen.

Was passiert, wenn ich meine Bedürfnisse ignoriere?

Wenn wir unsere Bedürfnisse ignorieren und ausblenden, kann sich das ganz unterschiedlich zeigen. Das hängt zum einen davon ab, welcher Typ Mensch du bist und natürlich auch davon, welche Bedürfnisse nicht erfüllt werden.

Aber egal wie: Du wirst es auf irgendeine Art deutlich zu spüren bekommen.

Eine wichtige Rolle spielt, welche Erinnerungen und Prägungen wir in Bezug auf dieses Bedürfnis haben.

Wenn es um ein Bedürfnis geht, bei dem wir (wahrscheinlich unbewusst) das Gefühl haben früher zu kurz gekommen zu sein, werden wir vermutlich sehr intensiv reagieren, wenn das Bedürfnis heute auch nicht erfüllt wird.

Wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, zeigt sich das zum Beispiel darin, dass wir ...

  • kleinere oder größere Probleme im Alltag (Beziehung, Job) haben.
  • das Gefühl haben nicht genug zu bekommen, weil wir nicht das bekommen, was wir brauchen.
  • ständig frustriert sind und im Mangelgefühl stecken.
  • innerlich unruhig sind und uns getrieben fühlen.
  • unzufrieden sind, und nicht wissen warum.
  • ständig auf der Suche sind.
  • dieses Mangelgefühl durch Alkohol, Drogen oder Essen kompensieren.
  • gesundheitliche Probleme bekommen, weil sich die seelischen Probleme konvertieren.

Daraus können sich dann weitere Probleme entwickeln, wie Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden, gesundheitliche Probleme, vegetative Erscheinungen, Verspannungen, Sucht, Übergewicht usw.

Wie du siehst, kann es gravierende Folgen haben, seine Bedürfnisse zu ignorieren. Deshalb lohnt es sich wirklich, sich intensiver mit deinen Bedürfnissen zu beschäftigen. Am besten beginnst du gleich jetzt damit, sie zu erkennen und dir zu erfüllen!

Du wirst sehen, wieviel besser es dir gehen wird und wie deine Lebensqualität durch die Decke schießt!

Gastautorin Rosina Geltinger
Über die Autorin: Rosina Geltinger

Rosina liebt es, die Wege der Seele zu ergründen. Sie ist überzeugt, dass der Schlüssel zum Glück nur in uns liegt. Je tiefer und besser wir uns selbst kennen und verstehen, desto glücklicher und zufriedener können wir sein. Dazu arbeitet sie mit Klienten online und offline in ihrer Praxis in München. Auf ihrem Blog schreibt sie über Selbstwertgefühl, Lebensfreude und innere Ruhe. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Psycho-Kinesiologin: www.rosinageltinger.de/blog.

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Martina Aust
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  1. Was wenn meine wahren, eigenen Bedürfnisse mit meiner derzeitigen Lebenssituation kollidieren? Wenn ich – zum Beispiel – das Bedürfnis nach Freiheit und Abenteuern habe, aber Frau und Kinder versorgen muss und auch noch gerade ein Haus gekauft habe, das abbezahlt werden will?

    1. Hallo Matthias,

      ich hoffe, es ist ok, wenn ich antworte, auch wenn der Artikel von Rosina ist. 😉

      Ich sehe das so, dass wenn die Lebenssituation gerade so ist, dass manche Bedürfnisse zu kurz kommen, kann man versuchen sich bewusst Freiräume im Alltag zu schaffen und in dieser Zeit dann das tun, was sonst zu kurz kommt.

      Wenn man für sich klar hat, was die Essenz hinter dem Bedürfnis ist, findet man wahrscheinlich auch passende Beschäftigungen, die dem zumindest sehr nahekommen. Auf jeden Fall macht es Sinn, mit dem engsten Umfeld darüber zu sprechen, was man ändern möchte, damit es keine Missverständnisse gibt.

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