Wenn du es nicht schaffst, abzunehmen, deine Lebensweise zu verändern oder dich gesund zu ernähren, machst du wahrscheinlich etwas falsch. Du hast einen Dämon aka inneren Schweinehund in dir, den du überwinden musst. Oder in deinem Kopf ist etwas falsch eingestellt. Du hast den richtigen Schalter aber noch nicht gefunden und umgelegt.
Du hast es einfach noch nicht begriffen.
Zumindest machst du etwas falsch.
Oder: Diese ganzen Mythen und Glaubenssysteme gehören endlich mal auf den Prüfstand, weil sie offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgehen.
Wenn du selbst schon mal das Gefühl hattest, dass diese sehr weit verbreiteten Denkweisen für dich nicht funktionieren, will ich dir Mut machen.
Wahrscheinlich liegt es gar nicht an dir, sondern der Fehler liegt im System. In den kollektiven Vorstellungen, die so weit verbreitet sind und die wir übernommen haben, weil wir sie schon so oft gehört haben.
Überprüfe, wie sich das für dich anfühlt, weiter an der alten Vorstellung festzuhalten und wie es wäre, wenn du sie über Bord wirfst.
Welche neue Sichtweise würde dir das eröffnen und wie würde sich das anfühlen?
Das mit dem inneren Schweinehund überwinden und weitere Mythen, die du hinterfragen solltest:
1 | Du musst deinen inneren Schweinehund überwinden.
Wo genau ist der überhaupt?
Hat den schon mal jemand gesehen?
Kann man den mit Wurst rauslocken?
Keine Ahnung.
Diesem Konstrukt liegt doch die Annahme zugrunde, dass der Mensch an sich von Natur aus faul und träge ist. Seine Willensschwäche und fehlende Motivation ist das einzige, was ihn davon abhält, seine Probleme anzugehen.
Ich verstehe, dass der Mensch aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus, eine natürliche Aversion gegen Veränderung hat. Das ist im Kern ein überlebensnotwendiges Verhalten, genauso wie uns unsere Ängste vor Gefahren schützen.
Aber genauso sehr wünschen wir uns in vielen Fällen eine positive Veränderung. Und trotz unzähliger, kräftezehrender Anläufe bekommen wir sie einfach nicht umgesetzt.
Ich erlebe regelmäßig clevere, engagierte und gebildete Frauen, die das für sich nicht gelöst bekommen.
Scheiterst du mit deinem Wunsch nach Veränderung, liegt das wahrscheinlich nicht daran, dass du zu wenig Kraft aufwendest oder dich gehen lassen.
Meist liegt es daran, dass du nicht am richtigen Ende ansetzt. Dass du die Ursachen für dein unerwünschtes Verhalten oder deine Situation nicht erkennst. Weil dir deine emotionalen Hürden nicht bewusst sind, kämpfst du gegen dich selbst und deine Gefühle an.
Diesen Kampf kannst du nicht gewinnen, denn die Programme in deinem Unterbewusstsein haben am Ende den längeren Atem.
2 | Du bist, was du isst.
Verstehe: Es ist kurz und knackig und es reimt sich.
Klingt im ersten Moment auch absolut einleuchtend. Und erzeugt gerade deshalb eine Menge Druck.
„Hör endlich auf, das ganze ungesunde Zeug in dich reinzustopfen und tu das deinem Körper nicht länger an. Es liegt nur an dir.“
Vielleicht passt das für manche Menschen sogar: Ich verändere mich selbst, indem ich meine Ernährung verändere. Mehr gesunder Treibstoff rein, mehr Energie und Gesundheit im Körper.
Alles klar, damit wären wir dann durch.
Alle Ernährungsratgeber, Abnehmbücher, Diäten, Wunderpillen, Shakes und was es da sonst noch so gibt, wären damit völlig überflüssig.
Man verändert den Input und bekommt automatisch ein besseres Ergebnis.
Gesünder. Fitter. Besser.
Ist ja nicht so, dass dir nicht klar wäre, dass ein Salat besser ist als ein Burger mit Pommes und ein Apfel mehr Vitamine hat als ein Schokoriegel.
Die Sache ist nur die:
1. Es funktioniert ja offensichtlich so einfach nicht.
2. Dein Körper ist kein Motor, der nur den besten Treibstoff braucht.
3. Du bist so viel mehr als nur dein Körper.
Du bist ein denkendes, fühlendes und spirituelles Wesen. All das passiert in deinem Körper und drückt sich durch ihn und seine Bedürfnisse aus.
Es stimmt, dass dein Körper das Vehikel ist, dass du für dieses Leben gewählt hast.
DU allerdings, bist noch so viel mehr.
Ich bin die Summe all dessen, was vor mir geschah,
all dessen, was unter meinen Augen getan wurde,
all dessen, was mir angetan wurde.
Ich bin jeder Mensch und jedes Ding,
dessen Dasein das Meine beeinflusste
oder von meinem beeinflusst wurde.
Ich bin alles, was geschieht,
nachdem ich nicht mehr bin,
und was nicht geschähe,
wenn ich nicht gekommen wäre.
Salman Rushdie (aus dem Film "Almanya - Willkommen in Deutschland")
Wenn du eine tiefgehende und nachhaltige Veränderung willst, bei der du nicht ständig wieder von vorne anfängst, musst du alle Teile von dir mit einbeziehen.
Und dich selbst nicht wie eine Maschine behandeln.
Dein Körper drückt deine Bedürfnisse und Emotionen aus. Auch durch dein Essverhalten.
Schließt du das mit ein und machst dir die Zusammenhänge bewusst, hast du die Möglichkeit einen Weg zu finden, der sich leicht und natürlich anfühlt.
3 | Abnehmen ist Kopfsache.
Oder auch gerne genommen: Ernährung ist eine Entscheidung.
Das ist nicht komplett falsch, denn du musst ja zunächst mal eine Entscheidung. Nämlich die, dass du etwas verändern willst. Ohne das geht es nicht.
Gehst du es gewissenhaft an und willst herausfinden, was die Ursachen deines Essverhaltens sind, kommst du allerdings mit dem Verstand nicht weiter. Auch nicht mit der Vorstellung, dass du hier irgendetwas bewusst entscheidest.
Außer, du bist ein Mensch, der keinerlei emotionale Verknüpfungen mit Essen hat.
Soll es ja geben. Aber dann liest du das hier wahrscheinlich nicht.
Zu dieser Minderheit gehören auch nur ca. 20 % der Menschen. Die anderen 80 % reagieren mit deutlich mehr oder weniger Appetit auf Stress oder emotionale Anspannung in ihrem Leben.
Da wird dann weniger entschieden, als vielmehr impulsiv und unbewusst gehandelt. Da sind unbewusste Programme und Verknüpfungen am Werk, die völlig automatisch und selbständig ablaufen.
Und das ist völlig normal. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.
Hör auf zu denken: Ich muss das endlich mal begreifen und dann ein für allemal damit aufhören.
So funktioniert es nicht.
Damit erhöhst du nur den Druck auf dich selbst.
Ernährung ist schon immer auch ein Bestandteil kultureller Zugehörigkeit. Auch religiöse Vorschriften und Ideologien wurden hier gerne untergebracht.
In den letzten Jahrzehnten sind verstärkt noch gesundheitliche Aspekte hinzugekommen. Und dann noch Ernährungstrends und ethische Gesichtspunkte.
Bei kaum einer Entscheidung, kann man heute so viel falsch machen, wie bei der Ernährung.
Je mehr wir versuchen, all dem gerecht zu werden, ohne unsere eigenen emotionalen Bedürfnisse nach bestimmten Lebensmitteln zu erforschen und mit einzubeziehen, desto mehr ungesunde Gefühle laden wir uns auf.
Schuld- und Schamgefühle, Gefühle des Versagens und der Unzulänglichkeit.
Selbstablehnung dafür, uns selbst nicht so kontrollieren zu können, wie es unser Kopf begriffen hat und uns vorschreibt.
4 | Es gibt eine gesunde Ernährung.
Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, die Begriffe "gesund" und "ungesund" in Zusammenhang mit der Ernährung möglichst zu vermeiden.
Spricht man davon, dass etwas "gesund" ist, bedeutet es immer auch, dass es auch etwas „ungesundes“ gibt. Das heißt, wenn ich davon etwas esse, tue ich mir nicht gut, bin schwach, sündige oder habe einen Rückfall.
Diese Denkweise führt dazu, dass wir in eine Alles-oder-nichts-Mentalität verfallen. Wir haben das Gefühl zu versagen, nur weil wir mal einen Muffin essen.
Das erzeugt Schuldgefühle und die führen im Zweifelsfall dazu, dass es nicht nur bei dem einen bleibt.
Gegen die dann aufkommenden unguten Gefühle muss dann noch größeres Geschütz aufgefahren werden. So gerät man, wenn's schlecht läuft, in eine selbstgebaute Abwärtsspirale.
Und davon mal ganz abgesehen, muss man Ernährung immer in einen größeren Zusammenhang einordnen.
Für jemanden, der seine Ernährung zwanghaft kontrolliert und sich den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, wäre es wahrscheinlich äußerst gesund sich mal zu entspannen und hin und wieder einen Muffin zu essen.
Es wäre sogar ein Zeichen von Fortschritt, wenn nicht sogar Heilung.
Gesundheit ist also auch sehr individuell. Was dem einen nicht bekommt und vielleicht sogar Probleme verursacht, tut einem anderen gut. Das liegt nicht am Lebensmittel.
Und natürlich ist alles eine Frage der Dosis.
Listen mit Lebensmitteln, die man auf keinen Fall mehr essen sollte, sind also nicht nur komplett sinnlos, sondern richten wahrscheinlich mehr Schaden an, als dass sie nützen.
Je weniger wir Lebensmittel bewerten, desto leichter können wir zu einem natürlichen und ungezwungenen Essverhalten zurückfinden. So wie wir als Kinder gegessen haben, ohne etwas über Ernährungstrends zu wissen und uns über negative Auswirkungen den Kopf zu zerbrechen.
5 | Gesundheit kann man von der Waage ablesen.
Gesundheit ist kein rein körperlicher Faktor. Sie hat auch mentale, emotionale und seelische Aspekte.
Jemand mit einem schlanken, durchtrainierten Körper kann trotzdem unter starken Ängsten, Depression oder einer mentalen Störung leiden, die auch seine Gesundheit massiv beeinträchtigt.
Gehst du davon aus, dass Gesundheit in ihrer Essenz etwas mit Balance und innerem Gleichgewicht zu tun hat, dann schließt sie so viel mehr ein, als nur dein Gewicht.
Du bist ein Mensch, der einen Körper hat. Aber du hast auch Gedanken, Gefühle, Beziehungen zu anderen Menschen und eine Vergangenheit.
In deinem Körper wird nicht nur das, was du isst, sondern auch das, was du denkst, was du fühlst und die Erfahrungen, die du machst, abgespeichert.
Deine Gesundheit ist das Ergebnis davon, wie du das alles unter einen Hut bringst und mit den Herausforderungen umgehst. Sie besteht nicht nur aus deiner Kalorienbilanz.
Genauso, wie es nicht die eine gesunde Ernährung gibt, gibt es auch nicht das gesunde Gewicht. Ein Mensch mit Übergewicht kann daher durchaus deutlich gesünder sein als einer mit dem sogenannten Idealgewicht.
Das Gewicht ist nur ein einzelner Faktor. Und es ist in den meisten Fällen nicht die eigentliche Ursache deines inneren Ungleichgewichts, sondern nur das sichtbare Ergebnis.
Es ist deshalb wichtig, dass du dich neben deinem Körper um all die anderen Bereiche auch kümmerst.
Suche dir Methoden, die dir helfen, mit deinem Geist zur Ruhe zu bringen, deine Emotionen zu bewältigen und die Dinge loszulassen, die dir nicht guttun.
Entlaste deine Ernährung von Glaubensvorstellungen und Ideologien, die nicht deine eigenen sind und sich nicht gut, sondern einschränkend anfühlen.
Die Art, wie du isst, ist ein sehr individueller Faktor und spiegelt deine persönliche Geschichte wider. Es hat daher wenig Sinn, allgemeine Empfehlungen ungeprüft umzusetzen.
Verbiete dir nichts und iss nichts, was dir in einer noch so subtilen Art und Weise widerstrebt.
Finde deinen eigenen Weg und gehe möglichst flexibel mit Nahrung um. Begrenze dich nicht und lass nur weg, was deinem eigenen inneren Impuls entspringt.
Hallo Martina!
Großartiger Artikel und vor allem Punkt 4 und deine Sicht zu den Begriffen „gesund“ bzw. „ungesund“ fand ich ganz toll. In eine Alles-oder-Nichts-Mentalität zu verfallen, kann nämlich richtig aufs Gemüt gehen.
Danke für diesen aufschlussreichen Post!
Anna K.
Danke für Deinen Kommentar, Anna. Das ist ein Artikel, der auch mir ganz besonders am Herzen liegt. Was diese Themen angeht, bin ich wohl auf so eine Art Mission ;-), um dabei zum Umdenken anzuregen. Liebe Grüße Martina
Tolle Beiträge