Du liest diesen Artikel wahrscheinlich, um etwa Neues zu erfahren. Also lass uns direkt auf den Punkt kommen: Du hast beobachtet, dass du anfängst zu essen, wenn du nichts zu tun hast. Trotzdem ist Essen aus Langeweile wahrscheinlich nicht die Ursache.
Es ist eine Erklärung, die für deinen Verstand sehr plausibel klingt und mit der er sich relativ schnell zufriedengibt, aber eben nicht der eigentliche Auslöser für dein Essverhalten.
Wäre es der Grund, wärst du schnell durch mit dem Thema und würdest diesen Artikel gar nicht erst lesen. Wahrscheinlich hätte ich ihn dann auch nicht geschrieben, denn niemand würde sich dafür interessieren.
Wie man sich Essen aus Langeweile und Frust abgewöhnen kann, dazu gibt es bereits genug kluge Ratschläge und Tipps da draußen.
Ich fasse sie mal kurz zusammen. Was man gegen Essen aus Langeweile tun kann:
- keine Langeweile entstehen lassen - ablenken
- nur essen, wenn man Hunger hat
- achtsames Essen praktizieren
- gesunde Snacks wie Nüsse und Beeren bevorzugen
- kein Junkfood kaufen
- äußere Reize wie Fernsehen vermeiden
- ein neues Hobby suchen
- auf Zucker verzichten
- stattdessen Sport machen
Und? Irgendwas dabei, das du noch nie gehört hast?
Das ist ja alles grundsätzlich nicht falsch und einiges davon sogar durchaus hilfreich, wie die Unterscheidung von emotionalem und körperlichem Hunger oder der Hinweis achtsam zu essen.
Es hilft dir beides auch dabei, dein Essmuster besser zu erkennen.
Die tatsächlichen Auslöser für dein Verhalten liegen allerdings auf einer tieferen Ebene.

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Viele der Tipps wirst du nicht nur gehört, sondern auch schon ausprobiert haben. Wahrscheinlich hast du dabei festgestellt, dass es sich in der Theorie einleuchtend anhört, aber eben nicht umsetzbar ist. Weil du im Zweifel nämlich anders handelst, als du es dir vorher in deinem Kopf zurechtgelegt hattest.
Wenn Langeweile der Auslöser wäre, bräuchtest du tatsächlich nur eine Ablenkung oder ein neues Hobby und du wärst durch mit dem Thema.
Zur Not könntest du halt auch was “gesundes” snacken, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten.
Wunderbar einfach. Und wenn es so funktionieren würde, hättest du es schon umgesetzt.
Das Missverständnis hinter dem Essen aus Langeweile
Langeweile ist ja nicht einfach nur die Tatsache, dass man nichts zu tun hat. Dann wäre es einfach nur freie Zeit.
Der springende Punkt ist, wie du diese Zeit bewertest und welche Gefühle sie in dir auslöst.
Folgende Definition von Langeweile finde ich viel treffender:
“Langeweile ist das unangenehme Gefühl, eine zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können.“
Sie ist von Dr. John Eastwood (Quelle)
Da stecken ja schon weitere Komponenten mit drin. Nämlich ein unangenehmes Gefühl, das da ist und ein fehlender Sinn bzw. keine Befriedigung in dem zu finden, was man tut. Das heißt, man langweilt sich auch, wenn man sich auf das, was man zu tun hat, nicht konzentriert oder nicht konzentrieren kann.
Es geht also um weit mehr als nur das Fehlen einer Beschäftigung. Und es sind immer unangenehme Gefühle beteiligt, die man nicht erkennen kann, solange man auf der Suche nach Ablenkung ist.
Will man in diesen Momenten aufhören zu essen, ist das eine heiße Spur.
Essen aus Langweile – die wahren Ursachen:
1 | Sich selbst zu ertragen ist eine große Herausforderung.
Geraten wir in eine Situation, in der wir uns nur noch schwer ablenken können, bekommen plötzlich Gedanken und Gefühle Raum, die wir wahrscheinlich schon lange beiseite geschoben haben.
Ständiger Stress und das Hetzen von einer Aufgabe zur anderen kann auch ein Bewältigungs- oder Verdrängungsmechanismus für unsere Gefühle sein.
Dabei sind nicht gefühlte Gefühle so etwas wie unerledigte Aufgaben.
Wir können uns zwar selbst dazu anhalten nicht daran zu denken und uns stattdessen einen schönen Tag machen aber irgendwie schleppen wir sie unterschwellig trotzdem immer mit.
Je länger wir das praktizieren, desto mehr Kraft müssen wir für diese Verdrängung aufwenden.
Deshalb ist unser normales Verhalten uns abzulenken und immer so viel zu tun zu haben, dass wir einfach keine Zeit für “so etwas” haben. So perfektionieren wir diese Gewohnheit über die Jahre und fahren vermeintlich auch ganz gut damit.
Sind wir dann tatsächlich mal an dem Punkt, wo die Wäsche gebügelt, die Spülmaschine ausgeräumt und das Bad geputzt ist, kommt diese undefinierbare aber unangenehme Stimmung hoch.
Dann sind wir mit unseren Gedanken alleine und fangen an in Unerledigtem oder der Vergangenheit zu kramen. Längst vergangene Situationen wieder und wieder durchzukauen, obwohl uns das keinen Schritt weiter bringt.
Wir sind es normalerweise nicht gewohnt unsere Gefühle bewusst wahrzunehmen, sie zu spüren und dadurch auch wieder loslassen zu können.
In der Regel fühlen wir uns, wenn wir keine Ablenkung haben, nach eine Weile schlechter als vorher, weil wir unsere eigenen Gedanken und die damit aufkommenden Gefühle nur schwer aushalten können.
Wenn sich so schnell keine andere Ablenkung finden lässt, ist dieses unangenehme Bauchgefühl dann am schnellsten mit Essen betäubt.
2 | Essen als Ersatz für fehlenden Austausch.
Vielleicht hast du schon mal vom Unterschied zwischen introvertierten Menschen, die ihre Energie aus dem Rückzug und der Ruhe ziehen und extrovertierten Menschen, die ihre Energie aus dem Kontakt zu anderen Menschen ziehen, gehört.
Das ist jetzt mal komplett vereinfacht dargestellt. Mich hat diese Einteilung früher immer gestört, weil introvertiert immer mit einem Makel belegt war und extrovertiert erstrebenswert und gesellschaftlich anerkannter schien.
Generell bin ich auch kein großer Fan von diesen Schubladen und Vereinfachungen, weil da niemand immer zu 100 % hineinpasst. Man kann sie aber hin und wieder als Erklärung ganz gut gebrauchen.
Bist du es gewohnt, deine innere Kraft aus dem Kontakt mit anderen Menschen, dem Austausch mit ihnen und ihrem Feedback zu ziehen, fehlt dir diese Quelle, wenn du alleine zu Hause bist.
Sogenannte extrovertierte Menschen brauchen deutlich weniger Zeit alleine, um sich zu regenerieren. Sie fühlen sich beim Kontakt mit anderen und in größeren Gruppen wohler.
Sie lernen gerne neue Menschen kennen, entscheiden eher spontan und langweilen sich schneller, wenn es keinen neuen Input von außen gibt.
Denn das sind ihre Kraft- und Energiequellen. Je mehr sie auf sich selbst zurückgeworfen und alleine mit sich selbst sind, desto weniger haben sie die Möglichkeit sich zu regenerieren.
Genauso wie wir bei Stress und Anspannung den Energiemangel häufig versuchen mit Essen zu beheben, ist es auch in diesem Fall.
Fehlende Highlights werden durch Essen ersetzt, genauso wie die Energie, die dir normalerweise aus äußerer Aktivität zufließen würde.
Falls du dich wunderst, dass ich hier gar nicht auf die Einflüsse von Corona eingehe: Ich habe schon früher einen Artikel darüber geschrieben, wie die Pandemie unser Essverhalten beeinflusst.
3 | Leerlauf führt zu Schuldgefühlen.
Kommt dir das bekannt vor? Du würdest dich ja liebend gerne um bestimmte Dinge kümmern, aber dir fehlt einfach die Zeit.
Deine Steuererklärung, die Altersvorsorge, diese Ausbildung, die du immer nochmal machen wolltest, deine Zukunft und die große Frage, was du noch so mit deinem Leben anfangen willst.
Die größeren, nicht alltäglichen Themen eben.
Alles Luxusprobleme, solange du mit deinem Alltag einfach zu beschäftigt bist. Da muss warten.
Tatsächlich gibt es aber immer wieder kleinere oder kürzere Momente, wo das Leben auf Pause steht und die du genau dazu nutzen könntest. Ein Geschenk sozusagen.
Erstaunlicherweise ist es sogar oft so, dass einem genau in diesen Momenten diese Themen kurz durch den Kopf gehen.
Gleichzeitig tauchen dann allerdings auch unangenehme Emotionen, wie Schuldgefühle oder Ängste auf.
Weil du es ja schon so lange aufgeschoben und verdrängt hast und auch nicht weißt, ob es nicht eventuell schon zu spät ist.
Vielleicht bist du schon zu alt oder die Chancen sind schon längst vorbeigezogen. Kann sein, dass du das dann herausfindest, sobald du dich damit beschäftigst.
Ganz zu schweigen davon, was passieren könnte, wenn du deinem inneren Drang nachgeben und Veränderungen in deinem Leben tatsächlich angehen würdest. Denn es ist meist nicht absehbar und nicht kontrollierbar, was dann als Nächstes passieren wird.
Das führt zu einem bunten Blumenstrauß aus Unsicherheiten, Sorgen, Ängsten und Schuldgefühlen.
Tatsächlich gehören Ängste und Schuldgefühle zu den stärksten Triggern für spontane Essimpulse.
Das Essen bietet dir die Möglichkeit dich abzulenken, dir selbst eine Beschäftigung zu verordnen und mit zunehmender Sättigung sogar die unangenehmen Emotionen mit dem Völlegefühl zu betäuben.
Es kann sogar sein, dass du dir die Trägheit und Müdigkeit, die mit dem Überessen kommt, insgeheim wünschst.
Das klingt im ersten Moment vielleicht abwegig, aber sie verhindert ziemlich wirksam, dass du neue und unsichere Themen angehst und schützt dich so gleichzeitig davor Fehler zu machen.
Und das fühlt sich kurzfristig dann erst mal sicherer an.
Essen aus Langeweile abgewöhnen – was tun?
1. Langeweile als Zeit der bewussten Entspannung nutzen.
Nutze freie Zeit aktiv, um dich auf Entspannung zu konzentrieren. Mache dir vorher eine Liste und schreibe die Dinge auf, die du gerne mal machen würdest, wenn du Zeit hättest.
Alles, was nicht der Ablenkung dient, sondern dich in dem Moment mit dir selbst verbindet, ist hilfreich. Das kann Yoga, Meditation, Tagebuch schreiben oder auch Lesen sein.
Gehe in der Zeit auch die Dinge an, zu denen dich deine Seele drängt und die du schon länger vor dir herschiebst.
Wenn du Veränderungen in deinem Leben vornehmen möchtest, zerlege sie in ganz kleine Einzelschritte und nimm sie dir nacheinander vor. So vermeidest du, dass Unsicherheiten aufkommen, Ängste getriggert werden und du befürchtest musst, die Kontrolle zu verlieren.
2. Die eigenen Gedanken bewusst machen, ohne sie zu verdrängen.
Wahrscheinlich ist dir gar nicht bewusst, was in deinem Kopf passiert, sobald du keine Gelegenheit mehr hast, dich abzulenken.
Gehe mal in die Rolle des Betrachters und nimm wahr, welche Gedanken sich bei dir regelmäßig wiederholen.
Besonders eindrucksvoll kannst du das beobachten, wenn du mal nachts wach liegst und nicht wieder einschlafen kannst.
Bei mir ist es so, dass ich dann vom Hölzchen aufs Stöckchen komme, die Äste gefühlt immer dicker werden und ich mich irgendwann komplett im Kreis drehe. Wenn ich da nicht wirklich bewusst wieder aussteige, ist an Schlaf nicht mehr zu denken.
Welche Gedanken kommen in so einer Situation bei dir hoch?
Sind es eher alte Gedankenschleifen oder neue Erkenntnisse?
Helfen sie dir aktuell weiter oder ziehen sie dich nur runter?
3. Was steckt hinter dem Gefühl, ständig was essen zu müssen?

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4. Das Gefühl zu Ende fühlen.
Gefühle haben nicht die Aufgabe uns das Leben schwer zu machen. Sie wollen uns auch nicht ärgern oder von unserem Weg abbringen.
Ganz im Gegenteil: Sie sind wertvolle Wegweiser in unserem Leben. Sie zeigen uns, wo etwas für uns stimmt, aber auch wo es sich nicht passend anfühlt.
Und sie weisen uns auf alte Verletzungen hin, die wir noch nicht geheilt haben.
Gehe in dich, verbringe eine Zeit mit diesem Gefühl und lass es einfach da sein. Je weniger du versuchst es verändern oder verdrängen zu wollen und je mehr du in dich hineinfühlst, desto leichter löst es sich auf.
Suche dir für dich passende Ansätze, um deine Emotionen zu bewältigen. Verbringe Zeit mit dir alleine und finde heraus, was dir dann guttut.
Welche Beschäftigungen führen dazu, dass du dich leichter fühlst?
Finde heraus, wie du tickst und was in dir den Impuls zu essen auslöst. Woran du beispielsweise denkst, kurz bevor du zum Kühlschrank gehst. Und überlege, was du dir von dem, was du dann isst, erhoffst.
Wenn es dir zu schwierig erscheint oder du Angst vor zu starken Emotionen hast, hole dir für dich passende Hilfe und Unterstützung dazu.
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