Die meisten Menschen glauben, sich zu überessen habe damit zu tun, dass man das Essen so sehr genießt, dass man nicht aufhören kann.

Es hat aber in der Regel wenig mit Genuss oder Freude am Essen zu tun, wenn du mehr isst, als du eigentlich willst. Es ist höchstwahrscheinlich ein Essmuster. Das ist ein innerer, durch deine Emotionen gestarteter Automatismus, der dich dazu antreibt.

Die Tatsache, dass du viel isst, ist kein Zeichen für Genuss.

Die Tatsache, dass du nicht aufhören kannst, ist kein Zeichen für Genuss.

Dass du viele Lieblingsspeisen hast, ist ebenso kein Zeichen für Genuss.

Was ist dann Genuss oder wie kannst du das, was du isst, genießen?

Genuss ist, langsam und achtsam zu essen, die Aromen, Konsistenzen und das Gefühl im Mund wirklich wahrzunehmen - und dabei jeden Bissen intensiv zu schmecken.

Der Genuss nimmt mit zunehmender Menge und Dauer der Mahlzeit ab. Das liegt in der Natur der Sache und ist ein hilfreiches Signal deines Körpers.

Du nimmst ab einem bestimmten Punkt den Geruch und Geschmack nicht mehr so intensiv wahr wie bei den ersten Bissen.

An diesem Punkt hat eine gewisse Befriedigung deines Appetits und eine erste Sättigung eingesetzt.

Je mehr du isst, desto weniger Geschmack; je weniger du isst, desto mehr Geschmack.

Wenn du dann weiter isst, hat das andere Gründe.

Essen erfüllt einen Zweck in deinem Leben. Es hilft dir besser, mit deinen Gefühlen fertig zu werden oder ist ein Platzhalter. Es übernimmt diese Funktion, weil es immer verfügbar ist, kurzfristigen Nutzen stiftet und du dafür weder Zeit noch besondere Aufmerksamkeit brauchst.

Du kannst deinen hektischen, unachtsamen Lebensstil beibehalten während du isst. Unbewusstes Essen und Multitasking sind die besten Freunde.

Wenn du für dich herausfinden willst, wie viel dein Essverhalten tatsächlich mit Genuss zu tun hat, frage dich selbst. Denke zurück an eine Situation, in der du über dein Sättigungsgefühl hinaus gegessen hast und stelle dir die folgenden Fragen:

1. Wie sehr habe ich jeden einzelnen Bissen auf einer Skala von 1 bis 10 genossen?
2. Wie sehr habe ich jeden einzelnen Bestandteil des Essens mit allen Aromen wirklich geschmeckt?
3. Wie war es zu Beginn und wie beim letzten Bissen?
4. An welchem Punkt hat der intensive Geschmack nachgelassen?

Wie viel weniger würdest du essen, wenn du an dem Punkt, wo du den Geruch, den Geschmack und das Gefühl in deinem Mund nicht mehr bewusst wahrnimmst, aufhören würdest?

Die Sache ist die: Wenn du zum Überessen neigst, isst du wahrscheinlich auch eine Menge Zeugs, dass dir nicht besonders viel Freude macht oder Genuss bereitet.
Denn es gibt noch andere Faktoren, die deinen Speiseplan mitbestimmen.

Vielleicht kennst du das: Erst wird etwas "vernünftiges" oder "gesundes" gegessen, wie beispielsweise Vollkornbrot. Da man das aber nur aus rationales Gründen isst, bleibt der innere Drang bestehen. Dann kommt als Nächstes auch wieder etwas "erlaubtes", wie Salat oder Gemüse.

Weil auch das den inneren Mangel nicht befriedigt, sondern noch weiter verstärkt, gibt es dann irgendwann kein Halten mehr und es müssen doch die süßen Sachen her.

Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um festzustellen, dass die Gesamtmenge und Kalorienzahl dann in keinem Verhältnis mehr zum ursprünglichen Hungergefühl steht.   

Das hat wenig mit Genuss zu tun.

Es zusätzlich zum bestehenden Essmuster, das nach Süßem verlangt, mit kopfgesteuerten Entscheidungen darüber zu tun, was „gesund“ ist und was nicht.

Wenn dir dieser Ablauf bekannt vorkommt, dann überisst du dich nicht, weil du das Essen so sehr genießt, sondern weil du um jeden Preis vermeiden willst, die "verbotenen" Sachen zu essen.

Je länger du das durchhältst, desto größer am Ende die Gesamtmenge. Und desto geringer der Genuss beim Essen.

Das Muster, das in dir aktiv ist, verlangt aber nach dem Gefühl, dass du mit den süßen Sachen verbindest. Und nicht nach Vollkornbrot und Salat.

Solange du nicht herausfindest, welche deiner Bedürfnisse und Emotionen auf diesem Weg nach Befriedigung und Aufmerksamkeit schreien, kannst du diesen Mechanismus nicht durchbrechen.

Es gibt aber noch eine Menge andere Situationen, in denen Essen und Genuss nicht wirklich zusammen passen.

Tatsächlich isst du vieles, dass du so gut wie gar nicht genießt, das dir noch nicht einmal schmeckt.

Überessen: Die spezielle Beziehung von Essen und Genuss.

Keine Zeit zum Genießen? Dann pinne diesen Artikel für später.

Was isst du regelmäßig, obwohl es dir eigentlich gar nicht schmeckt?

In manchen Situationen gibt es ziemlich offensichtliche Gründe.

Du isst zum Beispiel,

  • weil du nicht ablehnen kannst oder willst.
  • weil du es nicht wegwerfen kannst.
  • da es einen gewissen Anlass gibt.
  • aus Solidarität mit anderen.
  • weil es kostenlos ist.

Das sind die offensichtlichen Situationen, von denen dir die ein oder andere wahrscheinlich bekannt vorkommt.

Hier verhältst du dich anders als es dir deine leise innere Stimme zuflüstert. Die Gründe dafür führen dich zu den eigentlichen Ursachen.

Vielleicht willst du nicht aus der Reihe tanzen, hast Angst davor andere zu verletzen, abgelehnt oder bewertet zu werden. Oder du fühlst dich für die Harmonie in deinen Beziehungen verantwortlich.

Und dann gibt es da noch die unbewussten Gründe, in den Situationen, wo wir keine Ahnung haben, was da eigentlich los ist und was uns antreibt.

In diesen Situationen reagieren wir wie fremdgesteuert. Müssen es einfach durchziehen, ohne darüber nachzudenken oder zu analysieren.

Wenn wir fertig sind, sind wir zu müde, zu träge und schämen uns dafür, dass wir es wieder nicht geschafft haben uns zusammen zu reißen. Dann wird die leere Packung schnell entsorgt und so getan, als ob nicht passiert wäre.

Dumdidum.

Wie früher, wenn wir etwas aus der Küche stibitzt und so getan haben, als ob nichts wäre. Solange Mama nichts gemerkt hat, war die Welt in Ordnung. Nur doof, dass wir heute selbst die höchste Instanz sind. Und wir gehen meist härter mit uns ins Gericht, als es die Mama damals getan hat.

Zu behaupten, Essen und Genuss hätten überhaupt keine Beziehung zueinander, ist allerdings auch nicht richtig.

Genuss, Spaß und Freude sind in vielen Fällen ein Treiber - aber in welcher Form?

Wenn der Genuss beim Essen nicht der Grund dafür ist, dass du zu viel oder zu oft isst, warum fühlt es sich dann meist so an, als ob es etwas damit zu tun hätte?

Warum ist es so schwer voneinander zu trennen?

Weil es hier trotzdem eine Beziehung gibt. Die beschriebenen Situationen, in denen man meint zu genießen, es aber gar nicht tut, finden häufig am Abend statt.

Dann, wenn der ganze Tag schon hinter dir liegt. Wenn du das Gefühl hat, gleich ins Bett geschickt zu werden und noch gar nichts Schönes erlebt zu haben.

In der kurzen Zeit lässt sich natürlich nicht mehr alles nachholen, was du den ganzen Tag über versäumt hast: Spaß, Freude, Genuss, Glücksgefühle.

Also übernimmt Essen diese Rolle. Das kriegst du in der kurzen Zeit noch hin, sogar beim Fernsehen.

Essen muss dann für alles das herhalten, was in deinem restlichen Leben gefehlt hat.

Wenn Essen das Highlight des Tages ist, sowohl bei der Arbeit als auch abends zu Hause und am Wochenende, fangen wir Essen als Ersatz für Spaß und Genuss zu nutzen, anstatt das Essen selbst zu genießen.

Diese Essgewohnheiten sind kein Zeichen von Schwäche, Disziplinlosigkeit oder Genusssucht. Sie zeigen dir, dass es in dir unbewusste emotionale Verknüpfungen gibt, die dein Verhalten erzeugen.

Wirklich verändern kannst du diese inneren Programme, wenn du herausfindest, wie deine eigene Verknüpfung genau aussieht.

Was genau tut das Essen auf emotionaler Ebene für dich? Wo in deiner persönlichen Geschichte hast du diese Verknüpfung gebildet? Wie kannst du sie wieder rückgängig machen?

Das ist die allgemeine Erklärung. Ich weiss, in der Theorie klingt das alles immer ganz plausibel und auch einfach. Aber wie setzt du das für dich um?  

Wenn du das Gefühl hast, mit der Umsetzung überfordert zu sein oder immer wieder an denselben Punkten zu scheitern, bist du nicht allein.

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Martina Aust
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