Klingt das Konzept des achtsamen, bewussten Essens für dich im Prinzip auch ziemlich einleuchtend? Nur: Wie sollst du anfangen und wie deine Gewohnheiten ändern? Mache Essen zu deiner Achtsamkeitsübung.

Mehr Zeit nehmen, keine Ablenkung, im Augenblick bleiben …

Alles schön und gut.

Aber im Alltag vergisst du es dann, kriegst es nicht hin oder hältst es nur kurz durch.

Dann fällst du sehr schnell wieder in deine alten Verhaltensweisen zurück. Schaufelst, was das Zeug hält oder bist fertig bevor du eine Pause machen konntest. Das führt zu Frust.

Du weißt, was du ändern möchtest, kommst aber nicht in die Umsetzung. Der Autopilot macht jegliche Veränderung zunichte. Der Wunsch nach Veränderung bleibt, aber die hektischen Abläufe im Alltag lassen es irgendwie nicht zu.
Am besten funktioniert es, wenn du langsam und sanft vorgehst. Gewohnheiten zu verändern, ist ja generell schon schwierig. Beim Essen hast du aber die zusätzliche Herausforderung, dass dein Unterbewusstsein dir ganz spezielle Knüppel zwischen die Beine werfen wird:


Ich bekomme nicht genug.

So werde ich nicht satt.

Ich muss jetzt zuschlagen, ich weiß nicht, wann es wieder etwas gibt.

Das funktioniert für mich nicht.

Deshalb ist es wichtig, dass du es langsam und ohne Härte gegen dich selbst angehst. Wenn du die Veränderung als zusätzliche Achtsamkeitsübung ansiehst, gibst du dir selbst die Chance es positiv bewerten.

Probiere es einmal aus und mach dann Schritt für Schritt weiter.

Gib deinem Unterbewusstsein keinen Anlass, die Veränderung deiner Routine als bedrohlich einzustufen. Dann hat es auch keinen Grund, dagegen anzukämpfen.

Es geht nicht darum zu verzichten, zu reduzieren oder dir selbst etwas vorzuenthalten.  

Hier mein Ansatz für deine Achtsamkeitsübung mit Essen:

1 | Zeit, die dir etwas gibt. 

Plane eine bestimmte Zeit im Voraus ein. Zum Beispiel eine halbe Stunde für das Abendessen. Bleib genau so lange am Tisch sitzen, ohne aufzustehen, den Tisch abzuräumen oder irgendetwas zwischendurch zu erledigen.

Genieß in der Zeit dein Essen ganz bewusst.
 

Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.

Ernst Ferstl

Du kannst auch deine Uhr ablegen und selbst versuchen, ein Gefühl dafür zu bekommen, wann die Zeit abgelaufen ist.

Je nachdem wie du bisher deine Mahlzeiten eingenommen hast, wird dir die Zeit zu Anfang ziemlich lang vorkommen. Aber wenn du sowieso schon so lange am Tisch sitzt, kann du ja auch gleich langsam und bewusst essen. Es gibt ja sonst nicht zu tun. 

2 | Schenke dir die volle Aufmerksamkeit.

Eigentlich klar, aber der Vollständigkeit halber noch einmal erwähnt: Je weniger Ablenkung du hast, desto leichter fällt dir das achtsame Essen. 

Das bedeutet, der Fernseher und andere Geräuschkulissen oder Ablenkungen bleiben aus. 

Und am besten lässt du das Handy und das Tablet auch gleich von Anfang an in einem anderen Raum, damit du dir selbst und der Mahlzeit die volle Aufmerksamkeit schenken kannst.

3 | Der Tag versaut sich nicht von allein.

Da ich davon ausgehe, dass du nicht in einem Zen-Kloster wohnst, ist das komplette Schweigen während der Mahlzeit für dich wahrscheinlich nicht praktikabel. 

Eine gut umsetzbare Alternative ist das achtsame Zuhören und Sprechen mit deinen Liebsten während des Essens. Das heißt, zum einen beim Zuhören aufmerksam für die Bedürfnisse und Gefühle deines Gegenübers zu sein, aber selbst auch aufmerksam und authentisch zu sprechen.

Höre zu, um zu verstehen und nicht, um zu antworten.


Sich beschweren, lästern, jammern und Sorgen wälzen belastet und stresst in erster Linie einen selbst. Man versaut sich den aktuellen Moment, indem man alles Negative noch einmal aufkocht.

Die besprochenen Themen wirken sich unmittelbar auf deine Gedanken und Gefühle aus. Das erzeugt Frust, führt zu Unachtsamkeit und erhöht damit das Risiko dich zu überessen.

Lass deine Gedanken nicht unbeaufsichtigt. Sie erzeugen deine Gefühle.


Je mehr negative Themen, desto hektischer und unbewusster das Essen und desto mehr unangenehme Gefühle verspürst du.

Die weise Wahl deiner Themen und der Art wie du sprichst, kann sich also auch auf die Größe deiner Portion auswirken.

Versuche auch mal ganz klar und deutlich zu sprechen. Ohne Füllwörter und Versuche die Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Baue keine Effekte und Übertreibungen in deine Erzählungen ein. Dazu gehören auch regelmäßige Phrasen wie:

... ne?,
... weißt du, was ich meine?,
... jetzt sag doch mal ... ,
... verstehst du?

Achtsames Zuhören und Sprechen ist eine Möglichkeit, Missverständnisse und schlechte Stimmung während des Essens zu vermeiden.

4 | Friendly Reminder für die Achtsamkeitsübung 


Puh, gar nicht so leicht, den Autopiloten für eine komplette Mahlzeit auszuschalten.

Was helfen kann, ist ein Anker, der dich immer wieder erinnert, dass gerade etwas anders ist als sonst.

Du kannst dazu zum Beispiel eine besondere Kerze in die Mitte des Tisches stellen.

Wenn du deinen Blick immer wieder dorthin lenkst, erinnert sie dich an deine Absicht und du beruhigst dich schnell wieder.


5 | Du bist stark - vor allem, wenn du auch verletzbar sein darfst.



Spüre zu Beginn des Essens in dich hinein und zähle mindestens 5 Gefühle auf, die dich im Laufe des Tages begleitet haben. 

Gestehe dir selbst zu, verletzbar zu sein. Schmerzhafte Gefühle verschwinden nicht einfach, wenn wir versuchen, sie zu verdrängen oder herunterzuschlucken.

Das verleiht ihnen nur mehr Macht und lässt sie wachsen. Wirklich heilen kannst du sie, wenn du dich ihnen zuwendest und sie anerkennst.

Damit reduzie
rst du die Notwendigkeit, deine Gefühle mit Essen zu bewältigen und den Schmerz zu betäuben.



Viel wichtiger als das, was du isst, ist das, was du fühlst.

Ist da immer noch eine Wut, weil der Chef dir vor zwei Tagen über den Mund gefahren ist?

Warst du verletzt, weil die Verkäuferin so schnippisch zu dir war?

Ist das Telefonat mit deiner Mutter abrupt geendet, weil du dich von ihr nicht respektiert fühlst?

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Natürlich darfst du auch die positiven Gefühle mit einschließen. Im Prinzip ist ein Gefühl nur ein Gefühl, es ist einfach da und das ist zunächst einmal völlig wertfrei. 

Wenn es dir einfacher fällt, kannst du dazu den Satz: Da war heute ein Gefühl von … vervollständigen. Wenn du etwas auf Distanz gehst und dich nicht so stark damit identifizierst, kann das die passende Formulierung erleichtern. 

Auch wenn das noch keinen sofortigen Effekt auf deine aktuelle Mahlzeit hast, lernst du so deine Gefühle besser wahrzunehmen und anzuerkennen. Mit der Zeit wird dir so auch der Zusammenhang zu deinem Essverhalten immer deutlicher. 

6 | Und dann noch das Essen selbst …  

Das Essen selbst kannst du auch zu einer Achtsamkeitsübung machen, indem du jeden Bissen, den du dir auf die Gabel geschoben hast, zunächst einmal 5 Sekunden betrachtest, bevor du ihn in den Mund schiebst.

Das hilft dir, einen Moment innezuhalten und deine Aufmerksamkeit wieder in den Moment zu lenken. Damit erinnerst du dich selbst daran, nicht einfach jeden Bissen automatisch in dich hineinzuschaufeln, sondern dir dessen bewusst zu werden, was du da isst.

Wenn du so oft wie möglich mit Stäbchen isst, hilft das auch die Geschwindigkeit zu reduzieren und du bist deutlich schneller satt. Diese und andere Übungen, die dir das bewusstere Essen erleichtern, habe ich schon mal in einem früheren Artikel beschrieben.

Du kannst auch zusätzlich noch 5 verschiedene Geschmäcker, Konsistenzen oder Gerüche aufzuzählen, die du beim Essen wahrnimmst. In diese Übung kannst du auch den Rest der Familie mit einbeziehen. Gestalte es als gemeinsame Entdeckungsreise, das hilft dann allen, mit der Aufmerksamkeit immer wieder zum Essen zu gehen. 

Veränderst du selbst Umstände und schaffst die Voraussetzungen, fällt dir das achtsame Essen insgesamt viel leichter.

Veränderung ist ein Prozess. Jede Mahlzeit ist eine Chance, sich selbst wieder neu auszurichten.

Belohnt wirst du dafür mit mehr Genuss und einer besseren Wahrnehmung deines Sättigungsgefühls.

Du baust unnötige emotionale und mentale Spannungen ab und das wirkt sich dann auch beruhigend auf deinen Körper aus.

Diese Achtsamkeitsübung mit Essen versetzt dich langfristig in die Lage, deine emotionalen Muster zu erkennen und deine persönlichen Trigger zu entlarven.

Teste es mit etwas Ruhe und Abstand am Wochenende. Wenn du selbst und vielleicht noch andere Familienmitglieder, den Nutzen erkannt haben, kannst du anfangen bestimmte Teile davon auch in den Alltag zu übernehmen.

Mit etwas Glück spürst du die positiven Veränderungen nicht nur im Essverhalten, sondern auch in der generellen Stimmung und dem achtsameren Umgang miteinander.

Essen als Achtsamkeistübung

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Martina Aust
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