Zu den wenigen Dingen, bei denen sich wahrscheinlich alle Menschen stark ähneln, gehört die Tatsache, dass wir negativen Erfahrungen vermeiden und positive möglichst oft wiederholen wollen. Da wir zwangsläufig im Leben auch unangenehme Erfahrungen machen, versuchen wir deshalb instinktiv unsere Verletzlichkeit irgendwie zu überwinden.

Auf der anderen Seite suchen wir uns möglichst gut funktionierende Ersatzhandlungen, mit denen wir uns selbst positive Erlebnisse erschaffen können.

Essen. Alkohol. Shoppen. Exzessiver Sport. Arbeiten. Computerspiele.

Du weißt sicher, was es bei dir genau ist, denn an dieser Stelle werden die Ähnlichkeiten schon weniger und es wirken sich dann doch unterschiedlichen Prägungen aus, die wir im Laufe unseres Lebens mitbekommen haben.

Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere, es ist nur das gleiche Muster in einer anderen Ausprägung.

Warum wir unsere Verletzlichkeit überwinden wollen

Unsere Verletzlichkeit scheint uns bei dem Wunsch glücklich zu sein und uns gut zu fühlen, im Weg zu stehen. 

Deshalb versuchen wir uns unempfindlicher zu machen, damit wir dann - frei von hinderlichen Emotionen - besser funktionieren können.

Je mehr wir um die Ohren haben, desto mehr meinen wir deshalb uns selbst und andere kontrollieren zu müssen, um uns weiterhin sicher fühlen zu können.

Verletzlichkeit zeigen heißt, sich so zu zeigen wie man ist. Und das vor allem an Stellen, wo man das Risiko nicht abschätzen und das Ergebnis nicht kontrollieren kann.

Das erfordert in erster Linie den Mut, sich seiner Unvollkommenheit zu stellen.

Solange man nach Perfektion strebt, um sich dadurch sicher fühlen zu können, läuft man ständig Gefahr, dass einem die eigene Unvollkommenheit von anderen gespiegelt wird.

Diese Ungewissheit auszuhalten, sich vom Leben führen zu lassen und sich immer wieder dem Risiko verletzt zu werden auszusetzen, erfordert dauerhaft eine Menge Mut und Hingabe.

Warum es sich trotzdem lohnt, sich dem immer wieder zu stellen und wie deine Verletzlichkeit dir sogar mehr Glück, Freude und ein erfüllteres Leben schenken kann, liest du jetzt.

Verletzlichkeit zeigen

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Diese Geschenke hält deine emotionale Verletzlichkeit für dich bereit.

1 | Mehr Mitgefühl mit dir selbst und anderen

Betäubung funktioniert. Ich glaube, darüber müssen wir nicht diskutieren. Egal, welche Methode du dazu am liebsten einsetzt.

Ich gebe zu, ich kenne mich mit Alkohol nicht gut aus, das war nie so mein Ding. Aber da es bei vielen Menschen anders ist, nehme ich es mal als Beispiel.

Betäubung mit Alkohol funktioniert. Du kannst so viel trinken, dass du deine eigenen schmerzhaften Emotionen nicht mehr spürst. Das fühlt sich erstmal befreiend an. Und erleichternd.

Für eine kurze Zeit hat das genau die Vorteile, die du dir erhofft hattest.

Wenn du länger in diesem Zustand verbleibt, stellt sich allerdings die Frage, ob du noch die richtigen Entscheidungen für dich und dein Leben treffen kannst. Ob du noch spürst, was du wirklich brauchst und ob du noch gut für dich sorgen kannst.

Und dieser Zustand beeinflusst ja nicht nur dein eigenes Leben. Es stellt sich die Frage, ob du auf Dauer noch eine Bereicherung für dein Umfeld bist.

Kannst du noch Mitgefühl für andere aufbringen? Bist du unter diesen Umständen noch eine wirklich gute Freundin, Mutter oder Partnerin?

Wenn wir unsere Sensibilität und Empfindlichkeit herunterfahren und uns selbst abstumpfen, verbringen wir unser gesamtes Leben in dieser benebelten Verfassung.

Das hat dann unerwünschte Nebenwirkungen, die uns in der Regel aber nicht bewusst sind.

Je mehr du die emotionale Schutzhaltung aufgibst, desto besser kannst du dich selbst wieder spüren.

Und dieses feine Gespür für dich selbst ist Voraussetzung dafür, gut für dich selbst sorgen zu können – und damit für Selbstliebe und inneren Frieden.

2 | Nutzung deines vollen Potenzials

Um uns vor möglichen Angriffen von außen zu schützen, ziehen wir uns in der Regel innerlich immer weiter zurück. Wir begeben uns in den sicheren Schutzraum und verstärken von dort die Mauern nach außen mit ganzer Kraft.  

Je mehr Anteile von dir dauerhaft geschützt und vor unerwünschtem Zugriffen bewahrt sind, desto mehr innere Räume verschließt du dir auch selbst.

Das sind Räume, in denen Teile deines Potenzials schlummern, auf die du schon lange nicht mehr zugegriffen oder die du vielleicht bisher noch gar nicht entdeckt hast.

Vom Schutzraum aus kannst du sie allerdings nicht mehr bewohnen und auf ihre Geschenke zugreifen. Du merkst, dass du wichtige Anteile versiegelt hast, wenn deine frühere Unbeschwertheit, Lebensfreude oder Kreativität, nicht mehr erreichbar scheinen. 

Die gute Nachricht ist: Diese Räume sind noch nicht abgerissen. 😉

Sie sind nur ungeheizt, ungelüftet und etwas verstaubt.

Du kannst sie wieder bewohnbar machen. Wenn du dich aus dem Schutzraum langsam wieder heraus wagst, wirst du entdecken, dass sie sich zwar etwas fremd anfühlen, aber alle noch da sind und nur darauf warten wieder von dir bewohnt zu werden. 

3 | Einen zuverlässigen Kompass und Wegweiser

Deine Gefühle haben nicht die Aufgabe dir das Leben schwer zu machen oder dich in den Wahnsinn zu treiben, auch wenn man das manchmal vermuten könnte ;-).

Sie sind ursprünglich als eine Art inneres Navigationssystem gedacht, das dir anzeigt was für dich gut ist und was eben nicht.

Selbst wenn dein Verstand keinen offensichtlichen Grund findet, hast du manchmal einfach ein mulmiges Gefühl.

Und wahrscheinlich hast du auch schon öfter die Erfahrung gemacht, dass sich das im Nachhinein als absolut gerechtfertigt herausgestellt hat, auch wenn das außer dir niemand nachvollziehen konnte.

Das zeigt, dass unsere Gefühle, wenn wir sie spüren und lernen ihre Signale zu deuten, wichtige Informationen für uns bereithalten, die uns am Ende das Leben sogar erleichtern können.

Wenn wir sie versuchen zum Schweigen zu bringen und zu unterdrücken, suchen sie sich einen anderen Weg, um auf sich aufmerksam zu machen.

Das können Gefühle der ständigen Überforderung, körperliche Symptome oder emotionaler Hunger sein. Diesen Hunger versuchen wir dann mit Essen zu stillen, was aber nicht dauerhaft gelingt.    

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Diese feine innere Stimme und die leisen Signale, sind enorm hilfreich, wenn wir sie erkennen und lernen sie richtig zu nutzen.

Sie sind allerdings nur dann wahrnehmbar, wenn wir uns allen unseren - auch feinen und leisen - Gefühlen stellen und dem Impuls widerstehen, uns abzuhärten und unempfindlich zu machen. 

4 | Mehr Kraft und Energie

Seien wir ehrlich: Kampf ist anstrengend. Immer auf der Hut sein zu müssen, ist zermürbend.

Ständig das komplette Umfeld auf mögliche Bedrohungen hin zu überprüfen, kann einem die ganze Kraft rauben.

Je mehr Angst du vor weiteren möglichen Gefahren hast und je mehr du meinst dich davor schützen zu müssen, desto mehr Energie fließt wahrscheinlich in deinen Schutz vor der Außenwelt.

Je höher die Mauer, desto kräftezehrender.

Rund um die Uhr an der Front die Grenzen gegen feindliche Übergriffe abzusichern, ist im Verhältnis zur tatsächlich zu erwartenden Bedrohung und dem Schaden, den sie möglicherweise anrichten könnte, höchstwahrscheinlich überzogen.

Wie die meisten Ängste ist auch diese absolut irrational.

Versuche daher mal folgendes: Verändere die Perspektive auf die Situation und frage dich ...

Wovor fürchte ich mich konkret und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Situation eintreten wird?

Könnte es sich lohnen, die ständige Kampfbereitschaft aufzugeben und die frei werdende Kraft für Projekte, die mir am Herzen liegen, zu nutzen?

5 | Inneren Frieden

Im Ursprung war die Erkenntnis, dass du kein Gefühl der Schwäche zulassen und keine schmerzhaften Gefühle haben darfst, mit Sicherheit berechtigt. Es schien zu gefährlich zu sein.

Vielleicht hast du sie im Kontakt mit deinen Eltern entwickelt, die mit deinen kindlichen Gefühlsausbrüchen nur schwer umgehen konnten und dich auf dein Zimmer geschickt haben.

Möglicherweise gab es aber auch spätere Ereignisse, die dazu geführt haben, dass du die dazu passenden inneren Glaubenssätze gebildet hast.

Uns abzuschotten, weil wir abgelehnt wurden oder eine Verletzung erlitten haben, ist erstmal ein sinnvoller Schutzmechanismus. Diesen Zustand allerdings dauerhaft aufrechtzuerhalten, führt uns unbewusst in einen anhaltenden Stresslevel.

Mit dieser ständigen Alarmbereitschaft verhindern wir innerlich zur Ruhe kommen und alle unsere Emotionen - auch die angenehmen - wieder zulassen zu können. 

Wenn wir die Situation von außen betrachten, uns bewusst machen und entscheiden diese Entwicklung langsam wieder umzukehren, können wir die alten Muster unserer Kindheit nach und nach wieder verlassen und mehr inneren Frieden erreichen.

In jeder Situation Haltung und Contenance zu bewahren ist der Schutzmechanismus, mit dem du weitere Verletzungen vermeiden willst.

Der Wunsch unverletzlich zu sein führt dazu, dass du dich vor deinen eigenen Gefühlen abschottest und den Kontakt zu dir selbst verlierst. 

Wir sind alle aufgewachsen und haben Enttäuschung, Verletzung und Ablehnung erlebt und die ein oder andere schmerzhafte Erfahrung gemacht.

Das hat zu einer mehr oder weniger dicken Mauer geführt.

Diese Schutzschicht hat in erster Linie eine energetische und nicht körperliche Form. Mit ihr schleppen wir unsere alten Erfahrungen in Form der gespeicherten Emotionen täglich und dauerhaft mit uns herum.

Irgendwann sind wir an einem Punkt, an dem sie uns mehr behindert als unterstützt.

Sie hält uns davon ab, so gesehen zu werden wie wir sind und damit auch das zu erreichen, was wir uns wirklich wünschen.

So kannst du die Angst vor Verletzlichkeit überwinden

Bewertungen aufgeben

Die Angst verletzt zu werden entsteht aus dem Gefühl nicht gut genug, nicht liebenswert oder irgendwie anders zu sein.

Je weniger wir in diesen Kategorien denken und unsere automatischen Scanner, die ständig  bei uns und anderen nach Fehlern suchen, aufgeben, desto mehr können wir entspannen.

Der Druck, in allen nur denkbaren Kategorien den Anforderungen von außen entsprechen zu müssen, wird weniger. Auch die Angst nicht zu genügen, schwächt sich mit der Zeit ab.

Das Zulassen von Verletzlichkeit dem Erreichen von Perfektion vorzuziehen, ist der Ausweg aus diesem Dilemma. 

# Alte Wunden heilen

Das, was wir befürchten, ist ja häufig eine Wiederholung der Vergangenheit.

Wir wollen vermeiden, dass uns etwas noch einmal widerfährt, was sich früher schon einmal schmerzhaft angefühlt hat. Unser Ziel ist es, eine noch nicht verheilte Wunde davor zu schützen, dass sie wieder berührt wird.

Diese Wunden hängen in Regel mit früheren Enttäuschungen, Zurückweisungen oder Verlassen worden sein zusamen.

Wenn wir sie heilen, anstatt uns unempfindlich zu machen, verschwindet das Risiko, dass der alte Schmerz wieder aktiviert werden kann.

Dann können wir uns von innen heraus sicherer und wohler fühlen. 

# Anderen erlauben, ihre Verletzlichkeit zu zeigen

Wenn andere Menschen Schwäche oder Schmerz zeigen, kann es dazu führen, dass wir dicht machen, weil wir nicht an unsere eigenen Wunden erinnert werden wollen.

In diesen Situationen offenzubleiben, Mitgefühl zu zeigen und den anderen mit seinen ehrlichen Gefühlen anzunehmen, ist ein Schritt hin zu unserer eigenen Authentizität.

Können andere sich in deiner Gegenwart verletzlich zeigen und dabei sicher fühlen, führt das letztendlich auch zu stärkeren, tiefen und belastbareren Beziehungen.

Das gibt dann auch dir die Möglichkeit, dich zu öffnen und mit allen deinen Anteilen zu zeigen.

Authentizität ist eine Entwicklung.

Es heißt nicht, alles das, was dir eigentlich peinlich und unangenehm ist auf Facebook zu posten und zu warten, was dann passiert.

Vielmehr geht es darum, Stück für Stück deine Schutzschicht wieder abzutragen.

Und zwar so lange, bis du völlig ohne Sorge und Zweifel deine Wahrheit sprechen und leben kannst, ohne dir Gedanken darüber machen zu müssen, was die anderen davon halten und ob es für dich gefährlich sein könnte.

Das kann niemals durch eine einzelne Entscheidung und den Mut über deine eigenen Grenzen zu gehen geschehen, sondern immer nur mit kleinen mutigen Schritten. Und in dem Tempo, in dem es sich für dich ganz natürlich anfühlt.

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Martina Aust
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  1. Liebe Martina,

    was für ein schöner Artikel zu einem so wichtigen Thema. Es kann sich sehr vieles verändern, wenn wir Kontakt mit unserer Verletzlichkeit aufnehmen und ihr in unserem Leben Platz geben anstatt sie zu verdrängen. Und wenn das jeder täte, wäre das eine sehr große Veränderung für die ganze Welt.

    Vielen Dank für diesen Artikel 🙏
    Rosina

    1. Liebe Rosina, wie schön, dass er Dir gefallen hat. Erst wollte ich ans Schreiben auch nicht so richtig ran, dann ist mir währenddessen aber immer bewusster geworden, wie wichtig das Thema tatsächlich ist. Interessanter Prozess manchmal – das mit dem Bloggen 😉 Liebe Grüße Martina

  2. Liebe Martina,
    vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel, der das Thema Verletzlichkeit perfekt auf den Punkt bringt.
    Ich freue mich darauf, deine Anregungen in der Praxis auszuprobieren und so einen wichtigen Schritt in die von mir angestrebte Richtung zu gehen.
    Herzlichst, Brigitta.

    1. Hallo Brigitta, schön, dass Du ein paar wertvolle Anregungen für Dich mitnehmen konntest. Ich wünsche Dir viel Erfolg damit! Alles Gute, Martina

  3. Danke für diesen wunderbaren Artikel!
    Ich befinde mich in einer Situation, in der ich an alte Verletzungen erinnert werde und kämpfe gerade mit innerem Drama. Gut, dass ich mir dessen schon sehr bewusst bin. Trotzdem fühle ich mich manchmal hilflos ausgeliefert. Ich bin gerade dabei, meine Wahrheit auszusprechen, was wirklich Mut erfordert.

    Herzlichst
    Pam

    1. Liebe Pam, herzlichen Dank, dass Du Deine Erfahrung teilst. Das innere Drama kennen wir alle 😉 Zurzeit kommen durch die allgemeine Situation einfach nochmal tiefere Ängste an die Oberfläche. Das Positive ist, wenn wir uns drum kümmern, wird es dann langfristig leichter 🙂 Liebe Grüße Martina

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